Veranstaltung: | 2. Landesmitgliederversammlung 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 4.2. Inhaltliche Anträge |
Antragsteller*in: | Jan Vorbrodt (KV Magdeburg) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 16.06.2023, 16:43 |
A3: Wir brauchen eine Utopie für die nachhaltige Mobilität!
Antragstext
Die deutsche Verkehrspolitik ist desaströs – und das war auch nie anders.
Während die CO2-Emissionen in Deutschland seit 1990 insgesamt um unzureichende
40,4 Prozent abgenommen haben, beträgt die Abnahme im Sektor Verkehr nur
katastrophale 9,4 Prozent (1). Schuld daran ist eine Politik, die sich
bedingungslos dem Auto unterwirft, Wissenschaftler*innen seit den 70er Jahren
konsequent ignoriert und sogar die Interessen der Bürger*innen missachtet.
Aber wie ist eigentlich der aktuelle Stand? – Seit Gründung der BRD arbeiten die
Verkehrsministerien daran, Landschaften, Städte und Dörfer mit immer mehr und
immer breiteren Autobahnen, Schnellstraßen und Nebenstraßen zuzubetonieren. Die
Schienen wurden im Rekordtempo abgebaut – dafür stauen sich auf der A2 die LKW
bis nach Brandenburg. Die Ticketpreise für den Nah- und Regionalverkehr müssen
weiter steigen – denn sonst wäre kein Geld mehr für die ganzen Auto-Subventionen
da. Die Radwege (wenn überhaupt vorhanden) fallen seit Jahrzehnten auseinander –
aber Großprojekte werden durchgedrückt, wie der neue Tunnel für 200.000.000 Euro
in Magdeburg, der die Innenstadt endgültig in eine Wüste voller Lärm und Blech
verwandelt. Die konservativen Parteien in Sachsen-Anhalt freuen sich, dass
Zebrastreifen vor der Schule verboten sind – und planen schon die nächste Straße
mitten durch die Natur.
Die Stadtplanung für den toxischen Mann? – Nachhaltige Mobilität beginnt bei
einer sozial gerechten und ökologischen Stadtplanung. Unser Ziel ist deswegen
eine 15-Minuten-Stadt. Das bedeutet, alle wichtigen Orte des Alltags sind
innerhalb von 15 Minuten zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem ÖPNV erreichbar.
Von zu Hause aus befinden sich innerhalb eines Radius von fünf Kilometern
Einkaufsläden, Arbeitsplätze, Parks, Kindergärten, Schulen, Ärzt*innen sowie
weitere soziale Einrichtungen (2). So werden weite Pendelwege, die häufig mit
dem Auto zurückgelegt werden, vermieden. Dadurch werden die Straßen entlastet
sowie klimaschädliche Emissionen verhindert. Außerdem wird eine umfassende
Mobilität auch für die Menschen ermöglich, die kein Auto besitzen oder kein Auto
fahren können. Dazu zählen insbesondere Kinder, Jugendliche, Ältere, Menschen
mit Beeinträchtigung aber auch ökonomisch schwächere Personen, die sich in der
aktuellen Situation kaum ein Auto leisten können. Somit stellt eine nachhaltige
Stadtplanung auch eine finanzielle Entlastung dar. Das gilt sowohl für Personen,
die nicht auf den Kauf eines Autos angewiesen sind, als auch für Kommunen, die
keine unnötigen Straßen teuer instand halten müssen. Eine moderne Stadtplanung
muss konsequent soziale und ökologische Aspekte einhalten. Wie bereits
beschrieben müssen nachhaltige Städte und Dörfer wirklich allen Menschen
zugänglich gemacht werden. Auch die soziale Sicherheit, insbesondere von
FLINTA*-Personen, muss gewährleistet werden durch hell beleuchtete Gehwege und
sicheren Mobilitätsangeboten auch nachts. Der Wohnungsbau muss vorangebracht
werden und gemeinwohlorientiert sein. Um ökologischen Ansprüchen gerecht zu
werden, müssen ausreichend Grünflächen geschaffen werden, konsequent Bäume an
Straßen gepflanzt werden und Wege für Frischluft in die Stadtmitte freigehalten
werden. Bei alldem darf der ländliche Raum nicht vergessen werden. Hier stellt
der sozial-ökologische Umbau aufgrund des demografischen Wandels eine besondere
Herausforderung dar. Als Kernpunkte müssen der Verkehr zwischen Städten und
Dörfern stärker miteinander vernetzt werden sowie auch in Dörfern wieder
Einrichtungen des alltäglichen Grundbedarfs geschaffen werden.
Öffentliche Verkehrsmittel bitte nur, wenn dann auf der Straße kein Stau mehr
ist? – Im öffentlichen Verkehr liegt bei der Mobilitätswende das größte
Potenzial. Während der ÖPNV ein innerstädtisches Verkehrsnetz bereitstellt,
ermöglichen Regional- und Fernverkehr die Vernetzung zwischen Orten. Um das
Potenzial voll zu nutzen, muss der ÖPNV konsequent ausgebaut werden. Dazu gehört
ein dichter Takt bis spät abends und auch am Wochenende. Die Fahrzeuge müssen
ausreichenden Platz bieten, komfortabel sein und elektrisch mit Ökostrom
betrieben werden. Am besten eignen sich dafür Straßenbahnen, die mindestens
wieder in allen Großstädten etabliert werden müssen. Abseits der Stadt muss der
Ausbau der Schiene priorisiert werden sowie eine vollständige Elektrifizierung
durchgeführt werden. Dazu müssen stillgelegte Verbindungen reaktiviert werden.
Wo der Einsatz von Bahnen nicht sinnvoll ist, müssen Bussysteme eingesetzt
werden oder innovative Mobilitätsangebote gefunden werden. So kann der ländliche
Raum nicht nur an die Ballungszentren angebunden werden, sondern auch
untereinander vernetzt werden. Der Regionalverkehr sollte möglichst im 30-
Minuten-Takt oder mindestens im 60-Minuten-Takt verkehren, auch spätabends und
am Wochenende. Nur so ist gewährleistet, dass der Regionalverkehr auch im Alltag
verlässlich nutzbar ist (3). Der Fernverkehr muss durch den Ausbau von Schienen
wieder verlässlich werden. Internationale Bahnreisen müssen deutlich attraktiver
werden, wozu eine einheitliche Ticketstruktur und mehr Nachtzüge beitragen. Der
Güterverkehr muss konsequent auf Züge und Binnenschiffe verlagert werden. Die
Tickets für den öffentlichen Verkehr müssen kostenlos oder kostengünstig sein.
Das Deutschlandticket muss günstiger werden und auch ohne Abo erhältlich sein.
Es muss um attraktive Tagestickets und regionale Angebote ergänzt werden. An
Bahnhöfen müssen die verschiedenen Verkehrsarten miteinander vernetzt werden.
Der Umstieg vom ÖPNV, Fahrrad (und Auto) muss durch abgestimmte Fahrpläne und
ausreichend sichere Abstellmöglichkeiten gefördert werden. Um allen Menschen die
Nutzung des öffentlichen Verkehrs zu ermöglichen, müssen Haltestellen und
Fahrzeuge möglichst barrierearm gestaltet sein (4).
Radfahren super gerne, aber bitte nur zum Spaß? – Das Fahrrad stellt
individuelle Mobilität bis zu einer Entfernung von 15 Kilometern bereit. Damit
können nahezu alle Ziele innerhalb einer Stadt oder in umliegenden Ortschaften
unabhängig von Fahrplänen erreicht werden. Außerdem wirkt sich Radfahren positiv
auf die Gesundheit aus und ist kostengünstig. Um Menschen vom Radfahren zu
überzeugen, muss eine sichere und attraktive Infrastruktur geschaffen werden
(5). Außerhalb von Wohngebieten müssen Radwege konsequent baulich vom
Autoverkehr getrennt werden. Kreuzungen müssen klare Sichtbeziehungen bieten und
Raum für Fehler lassen. Radwege müssen überall mindestens zwei Meter breit sein,
aus (rotem) Asphalt bestehen und regelmäßig gereinigt werden (6). Das
Radwegenetz muss lückenlos sein, einfach zu verstehen sein und auf direktem Weg
ans Ziel führen. Dazu gehört, dass Radwege nicht plötzlich im Nichts enden, eine
umfassende Ausschilderung besteht und Radschnellwege mehrere Stadtviertel
verbinden. Weiterhin müssen sichere Abstellmöglichkeiten geschaffen werden,
sowohl im öffentlichen Raum als auch in Wohnhäusern. Für Elektrofahrräder sollen
ausreichend viele Ladestationen gebaut werden. Im ländlichen Raum müssen Dörfer
durch Radwege miteinander verbunden werden. Häufig sind diese weniger als fünf
Kilometern voneinander entfernt, was eine ideale Entfernung für das Radfahren
ist. Damit kann die Schule, der Supermarkt oder der Bahnhof im Nachbarort dann
auch flexibel für Jugendliche und unabhängig vom Auto erreicht werden.
Zu Fuß gehen ist okay, von der Haustür bis zum Parkplatz? – Die Grundlage für
eine nachhaltige Mobilität besteht im Zufußgehen, denn jeder Weg beginnt und
endet zu Fuß. Auch viele alltägliche Wege mit kürzeren Entfernungen bis zu zwei
Kilometern können zu Fuß zurückgelegt werden. Dafür benötigen wir eine
umfassende Verbesserung der Fußwege. Um die Sicherheit für alle Fußgänger*innen
zu ermöglichen, müssen alle Hauptstraßen konsequent und regelmäßig mit
Zebrasteifen oder Ampeln ausgestattet werden. Das gilt insbesondere an sozialen
Einrichtungen sowie Haltestellen. Wo das nicht der Fall ist, muss eine
Geschwindigkeitsbegrenzung von maximal 30 km/h gelten. Diese muss durch
Bremsschwellen und Geschwindigkeitskontrollen durchgesetzt werden. Davon
profitieren vor allem die Personen, die unsicher im Verkehr sind. Zeitgleich
werden Fußgänger*innen so vor den Autofahrer*innen priorisiert, wodurch sich die
Gehzeit aufgrund wegfallender Wartezeiten verkürzt. Sichere und komfortable
Gehwege sollten durchgehend mindestens 2,5 Meter breit sein und kontinuierlich
gepflegt werden. Sie müssen frei von falschparkenden Autos sowie störenden
Masten und Webetafeln sein. Gehwege sollten an Nebenstraßen durchgängig
verlaufen sowie an Kreuzungen eine freie Sicht bieten. Um allen Menschen gerecht
zu werden, müssen Gehwege möglichst barrierearm sein. Dazu gehören konsequent
abgesenkte Bordsteine und Blindenleitsysteme an allen Kreuzungen (7).
Autofahren lohnt sich, das sogar schon ab 200 Metern? – Im Vergleich zu den
anderen genannten Verkehrsmitteln ist das Auto extrem ineffizient, benötigt sehr
viel Platz und verursacht massive CO2-Emissionen. Trotzdem gibt es Situationen,
in denen das Auto nicht ersetzt werden kann, weil sich im ländlichen Raum zu
Randzeiten der ÖPNV nicht lohnt, die Entfernung zum Radfahren zu groß ist oder
die soziale Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. In Zukunft sollten alle
Autos elektrisch mit Ökostrom fahren, was immerhin weniger klimaschädlich ist
als Verbrennungsmotoren. Fahrtwege sollten so kurz wie möglich gehalten werden
durch umfassende Park & Ride-Angebote. Die soziale Sicherheit ist eine Aufgabe,
die dringend auf gesamtgesellschaftlicher Ebene angegangen werden muss. Als
Ersatz zum eigenen Auto sollten Carsharing-Angebote gefördert werden. Auf der
anderen Seite muss der Autoverkehr für seine Kosten selbst aufkommen. Parkplätze
müssen gerechte Gebühren haben und klimaschädliche Subventionen müssen
gestrichen werden. Der Ausbau von Straßen darf nur punktuell durchgeführt
werden, wenn Wohngebiete dadurch entlastet werden. Stattdessen müssen der
Autoverkehr deutlich zurückgehen und Straßen langfristig zurückgebaut werden.
Eine Utopie im Bereich Mobilität ist möglich. Lösungen sind meistens schon da
und normalerweise auch nicht kompliziert. Politisch sind wir davon aber noch
kilometerweit entfernt. Wir werden lange dafür kämpfen müssen, damit wir uns in
Richtung nachhaltiger Mobilität bewegen. Aber diese Anstrengung ist nötig –
nicht nur für eine klimaneutrale, sondern auch für eine gerechte Welt.
Literaturverzeichnis
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